B. Mesmer: Staatsbürgerinnen ohne Stimmrecht

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Titel
Staatsbürgerinnen ohne Stimmrecht. Die Politik der schweizerischen Frauenverbände 1914–1971


Autor(en)
Mesmer, Beatrix
Erschienen
Zürich 2007: Chronos Verlag
Anzahl Seiten
364 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Silke Redolfi, wissenschaftliche Mitarbeiterin, Universität Basel

Dass die «alte» Frauenbewegung mehr zu tun wusste, als Socken für die männliche Nation zu stricken, lässt sich mittlerweile in verschiedenen Studien zur Geschichte des Frauenstimmrechts oder einzelner Frauenverbände nachlesen. Was bisher fehlte, war eine verbandsübergreifende Gesamtdarstellung des Engagements der Schweizerinnen für die Rechtsgleichheit. Beatrix Mesmer legt nun eine detailreiche und klug strukturierte solide Arbeit vor, die zeigt, wie professionell und fachlich beschlagen die Frauenelite ihre Arbeit anging und wie sie im Glauben an die Gerechtigkeit der Männer die Schweiz zu demokratisieren suchte. Es gehört zur Ironie dieser Geschichte, dass gerade die permanente Zurückweisung im Männerstaat und die rechtsstaatliche Ohnmacht die Frauenbewegung zu ihren ideenreichen Spitzenleistungen antrieben und dass umgekehrt das von den Strateginnen von links bis rechts propagierte Ideal der Gleichheit in der Differenz in Zeiten intensiver Mütterlichkeitsideologien die Zementierung der Geschlechterrollen förderte. Mesmer begibt sich in ihrer Studie tief in die Denkgebilde der Frauenbewegung und der Männerlogik und arbeitet anhand von Vergleichen die Positionen heraus. Ihr Interesse gilt den vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen ntwicklungen konzipierten Strategien im Kampf für die Gleichstellung. Sie stützt sich dabei auf eine Fülle von Einzelstudien, Verbandsgeschichten und Lizentiatsarbeiten. Weil sich der Forschungsstand recht uneinheitlich zeigt – Lücken lassen sich etwa bei der Politik des wichtigen Katholischen Frauenbundes oder zur Stellung der Frauen in den politischen Parteien ausmachen –, zieht die Histori kerin gewinnbringend ausgewählte Primärquellen bei. In 13 kurzen Kapiteln analysiert sie vor dem Hintergrund zeitgenössischer Diskurse und Ereignisse die Stationen und Wendepunkte der Geschichte der Frauenverbände in ihrer Bemühung um Partizipation. Bereits vor dem Ersten Weltkrieg hatten sich die wichtigsten Verbände konstituiert, standen aber wie der 1888 gegründete mächtige Schweizerische Gemeinnützige Frauenverein oder der 1912 ins Leben gerufene Katholische Frauenbund oft im Schatten antifeministischer männlicher Interessen. Zu den fortschrittlichen und unabhängigen Organisationen gehörten der 1900 gegründete Bund Schweizerischer Frauenvereine, der sich für die rechtliche und berufliche Gleichstellung einsetzte, der als Streitmacht für das Frauenstimmrecht 1909 gegründete Schweizerische Verband für Frauenstimmrecht oder der Schweizerische Arbeiterinnenverein, bis er sich 1912 in die Partei integrierte und seine Gestaltungskraft verlor. Die alte Frauenbewegung übte zwar eine strikte Aufgabenteilung, arbeitete jedoch von Fall zu Fall in Zweckallianzen zusammen.

Wie die Autorin zeigt, konnten sich die Verbände im Ersten Weltkrieg mit ihrer Mitarbeit zunächst zwar den geschlechtsspezifischen Rollen angepasste neue Tätigkeitsfelder eröffnen. Doch wenn es um die Gleichberechtigung ging, mussten die Exponentinnen rasch einsehen, dass der männliche Staat ihre Leistungen nicht honorierte, die Forderungen ignorierte und wie es der Chef FHD Oberst Peter Sarasin im Zweiten Weltkrieg anstrebte «militärische Ordnung in diese tatendurstigen Frauen zu bringen suchte» (S. 215). Zwar nimmt in der Studie die gut erforschte Geschichte des Frauenstimmrechts einen zentralen Platz ein, Mesmer beleuchtet darüber hinaus aber auch weitere Handlungsfelder und Beteiligungskonzepte auf gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Ebene und bettet sie in den zeitgenössischen Diskurs ein. So entsteht ein umfassendes Bild der Arbeit der Frauenverbände, die ab den 1920er Jahren die Parteien, das Parlament und den Bundesrat mit Petitionen und Unterschriftensammlungen immer wieder für die Frauenrechte zu gewinnen suchten. Falsche politische Einschätzungen und die Angst vor der Nähe zur Linken charakterisieren diesen Weg genau so, wie die Ablehnung von radikalen Denkerinnen wie Iris von Roten oder die Ausgrenzung der Kommunistinnen und der Stimmrechtlerinnen in den eigenen Reihen, etwa bei Prestigeobjekten wie der SAFFA 1958. Mesmer zeigt, wie der politische und gesellschaftliche Backlash in der Krise der Zwischenkriegszeit die Arbeit der Frauenrechtlerinnen blockierte und wie die Strategie, durch die weibliche Doppelqualifizierung in Beruf und Familie mehr Einfluss zu gewinnen, zur Falle wurde. Denn das Festhalten am Geschlechterdualismus lieferte die Postulate der Gleichstellung zwangsläufig dem Auf und Ab gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Entwicklungen aus. Nach dem Zweiten Weltkrieg gelang es den Verbänden durch die Einsitznahme in eidgenössischen Kommissionen vermehrt am politischen Prozess teilzunehmen. Doch ohne den gesellschaftlichen Wandel in den 1960er Jahren, ohne eine neue Generation von Männern – die sich im bekennenden Frauenstimmrechtler Bundesrat Markus Feldmann ankündigte –, ohne die Diskussion um die Europäische Menschenrechtskonvention in den 1960er Jahren und ohne neue radikale Demonstrationsformen der «jungen» Frauenbewegung und der 68er-Generation wäre das Frauenstimmrecht wohl nie angenommen worden. Die Studie von Mesmer ist auch für Eingeweihte der Frauenverbandsgeschichte eine gewinnbringende Lektüre, weil sie einen fundierten Überblick über die Politik und die Wirkungsmacht der Verbände bis 1971 liefert. Ausserdem leistet sie mit der Frage nach den Strategien der Ausgeschlossenen einen Beitrag zum Verständnis politischer Machtkartelle und Prozesse im Staat. Gewünscht hätte man sich allerdings Illustrationen und vor allem mehr biografisches Hintergrundwissen über die Akteurinnen und Akteure, über ihren sozialen Kontext und über ihre Vernetzung in der Frauenbewegung. Denn diese funktionierte und lebte letztlich von tragenden Freundschaften und persönlichen Beziehungen.

Zitierweise:
Silke Redolfi: Rezension zu: Beatrix Mesmer: Staatsbürgerinnen ohne Stimmrecht. Die Politik der Schweizerischen Frauenverbände 1914–1971. Zürich, Chronos, 2007. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 58 Nr. 2, 2008, 200 S. 234-236.

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Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 58 Nr. 2, 2008, 200 S. 234-236.

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